Pädagogische Konzeption

Die besondere Aufgabenstellung eines Heimes, das in öffentlichem Auftrag Kinder und Jugendliche außerhalb ihrer Familien erzieht, schafft ein Spannungsfeld, das durch zwei schwer vereinbare Pole gekennzeichnet ist: es ist soziale Einrichtung und natürlicher Lebensraum zugleich. Je kleiner das Heim und je persönlicher die Beziehungsstrukturen innerhalb des Heimes sind, um so weniger tritt die Realität der Institution in Erscheinung. Jugendliche haben ein Recht auf einen normalen Alltag, auch und gerade dann, wenn der familiäre Alltag in die subjektive Katastrophe einer Heimunterbringung geführt hat.

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Das Team

Als privates Heim mit nur einer Gruppe sind wir nicht in hierarchische Einrichtungs- oder Trägerstrukturen eingebunden. Das eröffnet uns die Chance, das Beziehungsfeld im Heim nach unseren eigenen Vorstellungen zu gestalten. »Wir«: das ist ein sechsköpfiges Team, bestehend aus dem Heimleiterehepaar, das auf dem Heimgelände wohnt, und vier pädagogischen Mitarbeitern (hier wie im weiteren Text sind stets Mitarbeiter beiderlei Geschlechts gemeint). Die Form der Zusammenarbeit ergibt sich aus der Grundstruktur unserer Einrichtung: im Zentrum des institutionellen wie des persönlichen Beziehungsgeflechts steht das Heimleiterehepaar, das seine Hauptaufgabe darin sieht, aus den Rahmenbedingungen der Einrichtung ein Heim zu gestalten, das von den Jugendlichen als zweites zu Hause erlebt und angenommen werden kann.

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Beziehung schafft Bindung

Der Begriff »Heimunterbringung« sagt wenig über die menschlichen Katastrophen aus, die am Ende diese eingreifende Form der Hilfe zur Erziehung zur Folge hatten. Er steht in aller Regel für das Scheitern einer Familiengemeinschaft. Das hinterlässt bei allen Beteiligten Spuren, in besonderem Maße bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen, deren Persönlichkeitsstruktur noch in Entwicklung begriffen ist. Das Heim übernimmt in einem solchen Fall nicht nur den Erziehungsauftrag, dem die Eltern nicht mehr gerecht werden können; es muß darüber hinaus die Traumatisierungen auffangen und aufarbeiten, die mit diesem Prozess des Scheiterns und seiner Konsequenz, der Trennung von der Familie, einhergehen. Dem trägt der Gesetzgeber dadurch Rechnung, dass er in § 27 Abs. 3 SGB VIII pädagogische und therapeutische Leistungen bei der Hilfe zur Erziehung miteinander verknüpft.

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Reden, reden, reden – doch das Wann und Wie ist wichtig

Beziehung läuft auf mehreren Ebenen ab. Nonverbale Beziehungsaspekte (Mimik, Gestik, Regulierung von Nähe und Distanz, Körperkontakt) leisten einen außerordentlich wichtigen Beitrag zur Gestaltung der Beziehungsathmosphäre, sowohl in der Gruppe als auch in der Einzelbeziehung. Bereits auf dieser Ebene findet eine Weichenstellung statt: Jugendliche sollen und dürfen sich willkommen fühlen und werden auch nonverbal eingeladen, sich ihrerseits auf der Beziehungsebene zu öffnen.

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Ein Kapitel für sich: Konfliktbewältigung

Ein besonderer, besonders wichtiger und besonders heikler Anlaß für Gespräche sind Konflikte.

Konflikte nehmen in der Heimerziehung eine zentrale Stellung ein. Jugendliche übertragen, ob sie wollen oder nicht, Konfliktmuster aus der verunglückten Familieninteraktion auf das Heim. Das ist ebenso unvermeidlich wie belastend, für alle Beteiligten. Doch genau hier, in der Bewältigung der von den Jugendlichen provozierten und inszenierten Konflikte, liegt die Chance der Heimerziehung: wenn der Erzieher den Kern der vom Jugendlichen im Konflikt inszenierten Geschichte zu verstehen beginnt, kann er durch seine Reaktion, durch sein Verhalten dafür Sorge tragen, dass sie diesmal einen anderen Ausgang nimmt. Wenn dies oft genug geschieht und der Jugendliche die Erfahrung macht, dass die gemeinsame Bewältigung von Konflikten eine Beziehung nicht belastet, sondern sie im Gegenteil vertiefen kann, dann werden die Inszenierungen ihren Charakter verändern und im besten Fall ganz aufhören – der Jugendliche ist frei, neue Verhaltensweisen zu erproben.

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Bevor geredet wird …

Ein Heim ist eine Welt für sich. Eine schwierige Welt: hier soll »Hilfe zur Erziehung« geleistet werden, von Menschen, die dafür bezahlt werden, an Menschen, die davon nicht unbedingt begeistert sind. Wie lässt sich aus dieser konfliktträchtigen Grundsituation eine Basis schaffen, die alle Beteiligten akzeptieren können?

Die Antwort lautet: durch Regeln. Es sollte bei allen Beteiligten dieser eigenartigen Lebens- und Arbeitsgemeinschaft »Heim« ein möglichst hoher Grad an Klarheit darüber herrschen, was erlaubt ist und was nicht, wer im Zweifelsfalle das Sagen hat, was verpflichtend ist und was freiwillig, was nicht zur Debatte steht und worüber diskutiert werden kann.

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Wenn Reden nicht hilft …

Sprache ist ein Medium, das in Wirksamkeit und Reichweite begrenzt ist. Das trifft in besonderem Maße für Kinder zu. Da es relativ spät in der Entwicklungsgeschichte eines Kindes erworben wird, fehlt den Wörtern die Verbindung mit den starken, noch undifferenzierten und hochwirksamen Gefühlen, die gerade die erste Lebensphase frühgestörter Kinder geprägt haben. Wenn diese Gefühle in Krisensituationen wieder wach werden, dann hilft kein Reden, sondern nur bedingungslose Annahme. Dann gilt es zu verstehen, dass Gespräche nicht aus Trotz verweigert werden, sondern dass frühkindliche und damit vorsprachliche Gefühle vorherrschen, die noch keinen sprachlichen Ausdruck gefunden haben. Eine angemessene Antwort des Betreuers auf eine solche Krisensituation muß ihrerseits die Ebene von Sprache und erzieherischen Konsequenzen verlassen können und Verstehen und Annahme verbunden mit der Sicherheit einer erwachsenen Haltung signalisieren.

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Schulische Betreuung

Der schulischen Betreuung widmen wir besondere Aufmerksamkeit. Darauf, wie es einem Kind im Unterricht ergeht, haben wir nur mittelbaren Einfluss: im Klassenzimmer ist jede/r Jugendliche auf sich selbst gestellt. Andererseits schlagen aber Schulprobleme auf die Gesamtbefindlichkeit des Kindes durch und werden auch im Heim in Form von Reizbarkeit, gedrückter Stimmung, Leistungsunwillen usw. spürbar. Deshalb versuchen wir zum einen über einen regelmäßigen Kontakt zu den Lehrern das Geschehen in der Schule im Auge zu behalten, zum anderen im Heim mit Hilfe verbindlicher Hausaufgabenzeiten dafür Sorge zu tragen, dass die Kinder vorbereitet und damit unbelastet zur Schule gehen können.

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Was wir pädagogisch erreichen wollen

Wie wir »Erziehung« verstehen und im Alltag umzusetzen versuchen, wurde weiter oben dargelegt. Eingebettet wird diese Praxis in ein übergeordnetes Ziel: die Erziehung der uns anvertrauten Jugendlichen zu »ganzen Menschen«, d.h. zu offenen, toleranten und lebenstüchtigen jungen Menschen, die nicht auf Versorgung durch andere angewiesen sind und sich nicht an festgefahrene Rollenklischees klammern, sondern sich allen Lebensbereichen stellen, mit denen sie konfrontiert werden. Ausgiebig Gelegenheit zum Üben bietet die Bewältigung des gemeinsamen Alltags, der von den Jugendlichen dann als befriedigend erlebt werden kann, wenn er von Lebensfreude, Besonnenheit und gegenseitigem Respekt getragen ist.

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Elternarbeit und Kontakt zu den Eltern

In der Regel gehen einer Heimunterbringung tiefgreifende Konflikte, wenn nicht Zerwürfnisse zwischen Eltern und Kindern voraus. Zwar macht es die räumliche Distanz beiden Seiten leichter, wieder aufeinander zuzugehen, weil die Eltern-Kind-Beziehung nun weitgehend entlastet ist von den zermürbenden Alltagsproblemen; die Grundkonflikte jedoch bleiben dabei ausgespart. Zur Vorgeschichte der Heimunterbringung gehört ja in der Regel auch, dass der Grundkonflikt selbst mit Hilfe Dritter, eines Erziehungsberaters oder des Jugendamtes, nicht gelöst werden konnte. Die Heimunterbringung selbst muss als Folge des Scheiterns dieser Versuche betrachtet werden, das die Verantwortlichen zu einem anderen, eingreifenderen Lösungsversuch durch Aufkündigung der Lebensgemeinschaft veranlasst hat.

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Heimerziehung: ein Prüfstand für Erzieher

Erziehung fordert nicht nur die Jugendlichen, sondern in gleichem Maße die Erzieher. Ständige Aufmerksamkeit neigt dazu, sich zu erschöpfen, so dass ein Ausweichen auf Routinen und einrichtungsspezifische Formen von Betriebsblindheit häufig unerwünschte und qualitätsmindernde Begleiterscheinungen der Heimerziehung sind – jedenfalls dann, wenn keine Vorkehrungen dagegen getroffen werden.

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